Vera Thomas-Ohst

Die Illusion vom weißen Zebra

Aachen, 31. Januar 2001 

Von dem unseligen, weil feindseligen Versuch, die schwarzen Streifen unserer Zebranatur zu tünchen, sprach am Dienstagabend im bis zum letzten Platz gefüllten Haus Löwenstein Dipl.-Psych. Thomas Auchter.

 

Besonders viel Energie benötigen wir, wenn wir bewusst oder unbewusst ganz in weiß gesehen werden möchten.“

 

Zum Thema: „Das fremde eigene Böse“ referierte Auchter eine volle Stunde vom frühen Seelenleben des Kleinkindes, über pubertäre und adoleszente Bindungs- und Autonomiebestrebungen bis hin zu der Erkenntnis, dass wir in der Lage sind, alles Störende, Furchterregende sprich: Böse, seelisch hinauszuwerfen ( Externalisierung ) und mittels Projektion dem anderen( Fremden ) zuzuschlagen. Es sei denn, wir haben die Fähigkeit zur Ambivalenz erworben. Soll heißen, wir sind in der Lage, uns selbst und andere, fremde, zugleich zu lieben und zu hassen.

 

Ein Mangel an Ambivalenz erhöht die Spaltungstendenzen und die innere Notwendigkeit von Feindbildungen, im Sinne einer Projektion des eigenen Bösen auf den anderen, den Fremden. An zuvor entwerteten und dehumanisierten Fremden können aggressive und destruktive Triebimpulse relativ schuldgefühlfrei ausagiert werden.

 

Die fatalen Folgen der gegenwärtigen medialen Aufgeregtheit über die Rechtsradikalen waren ein Thema, mit dem Hinweis auf ausgeklammerte, bis dahin noch im Mittelpunkt öffentlichen Interesses stehende Themen, wie z. B. Parteispendenskandal, Asylgesetze und die peinliche Verzögerung der Ausgleichszahlungen für Holocaust-Opfer. „Die Rechtsradikalen erhalten derzeit eine Aufmerksamkeit und Zuwendung, die ihnen innerlich vielleicht fehlt“. So kommt es zu einer fatalen wechselseitigen Aufladung medialer Aufmerksamkeit und  einer Zunahme rechtsextremer Aktivitäten und Gewaltakte.“ Sie fühlen sich als Jemand statt als Irgendjemand“.

 

Über die Erschwerung in der Entwicklung deutscher Identität nach 1945 u.a. auf der Grundlage der berühmten, zum Kultbuch der Siebziger avancierten Veröffentlichung von Alexander und Margarete Mitscherlich, „Die Unfähigkeit zu trauern“, ging der Diskurs zu einem Zitat von Friedrich von Weizsäcker: “Einen Menschen verstehen heißt, verstehen inwiefern er legitim anders ist als ich selbst“, bis hin zur Zusammenfassung seiner Thesen: So bleibt unsere Fähigkeit zum Bösen eine ständige Herausforderung. Wir können sie projektiv lösen durch Fremdenfeindlichkeit oder identifikatorisch durch Selbst-Annahme unseres oft so „fremden eigenen Bösen“.

 

Das Zebra erhält seine schwarzen Streifen zurück!

 

Nach fast zweistündiger Diskussion gingen über hundert Zuhörer nachdenklich nach Hause. Der Arbeitskreis „Jugend und Schule“ im „Bündnis gegen Rechts“ und Vera Thomas-Ohst vom Aachener Friedenspreis organisierten eine Veranstaltung, in der Thomas Auchter an die Wurzel unserer Existenz führte.