Thomas Auchter
Die Angst vor George W. Bush
und die Angst von George W. Bush
Zur Psychoanalyse von Macht und Gewalt (1)
Publiziert in: Psychoanalyse im Widerspruch 37 (2007),
Gießen (Psychosozial Verlag), S. 59-80
Fassung: 10. Januar 2007
1. Einleitung
Gehörte George Walker Bush nur ein kleiner Waffenladen im Süden der Vereinigten Staaten von Amerika, bräuchte man sich wahrscheinlich keine allzu großen Gedanken über ihn machen. Aber der Mann besitzt zur Zeit das größte Waffenlager der Welt, er verfügt unter anderem über Tausende von Atomsprengköpfen und ist in der Lage, sich und unsere ganze Welt mehrfach auszulöschen. Das macht seine Gefährlichkeit aus.
Amerika verbraucht etwa ein Viertel der weltweiten Energie (19,5 Millionen Barrel Öl täglich) (Mailer 2003, S. 58), und muss davon mehr als die Hälfte (nach anderen Angaben 75%) importieren und hat einen entsprechenden riesigen Schadstoffausstoss, der die gemeinsame Luft der ganzen Welt verpestet und entscheidend zur weltweiten Klimaveränderung beiträgt. Einem Beitritt zu einem globalen Klimaabkommen (‚Kyoto-Protokoll’) verweigert sich die amerikanische Regierung unter Führung von Bush gleichwohl aus wirtschaftlichen Gründen bis heute konsequent. Deshalb geht es uns alle etwas an, was hinten in den USA geschieht, und vom wem dieses Land geführt wird. Denn wir alle sind davon in dieser oder jener Weise betroffen. Aus diesem Grunde ist es lohnenswert, sich mit der Persönlichkeit von Bush zu beschäftigen.
Ehe ich mich aber näher mit der Person George Walker Bush, oder präziser einem bestimmten Aspekt seiner Persönlichkeit, nämlich seiner Angst und seinem Umgang damit, und den aus seinen Ängsten resultierenden Konsequenzen für sein politisches Handeln, befassen werde, gestatten Sie mir einige wenige methodische Vorbemerkungen.
2. Methodische Vorüberlegungen
Normalerweise sitzt der Psychoanalytiker (2) als Kliniker – klischeehaft formuliert - in der Abgeschlossenheit und Ruhe seines Behandlungsraumes hinter der Couch. Er hört mit zugewandter, möglichst wertungsfreier, freischwebender Aufmerksamkeit seinem Patienten zu. Er lässt das Gehörte und Wahrgenommene auf sich wirken. Er spürt dem in seiner Gegenübertragung nach, beobachtet also, was das vom Patienten Geäußerte in ihm an Gefühlen und Gedanken auslöst. Er bildet daraus bewusste und unbewusste Hypothesen über bewusste, aber vor allem unbewusste seelische Prozesse zwischen sich und seinem Patienten und im Patienten. Im intimen Rahmen der psychoanalytischen Behandlung gibt er diese dann im geeigneten Augenblick bewusst als Deutung oder unbewusst als Reaktion seinem Patienten zur Überprüfung und Weiterverarbeitung zurück.
Eher ungewöhnlich ist es, wenn der Analytiker sich hinter seiner Couch hervorwagt, wenn er Personen der Geschichte, der Kunst oder der Zeitgeschichte unter die analytische Lupe nimmt, wenn er öffentliche Äußerungen von ihnen und Äußerungen über sie sammelt, wenn er Analogieschlüsse vornimmt und spekulative Hypothesen aufstellt, und wenn er schließlich damit vor die Öffentlichkeit tritt. Dieses Vorgehen wird als angewandte Psychoanalyse bezeichnet.
Personen der Zeitgeschichte, insbesondere Politiker, empfinden sich selbst in aller Regel nicht als krank - wie unsere Patienten das zu tun pflegen - und landen auch nur selten auf der Couch eines Analytikers (Wirth 2002, S. 22). Jeb Bush, der Bruder von George, hat kürzlich über seine Familie gesagt: „’Es ist nicht normal für uns... diesen reflektierenden Modus einzuschalten und uns irgendwie auszukotzen’. Sein Vater hat offen seine Verachtung für die Couch ausgedrückt. George W. Bush hat sie geerbt und jeden Versuch, den Bush-Charakter zu erfassen, als ‚Psychogelaber’ abgetan“ (Frank 2004, S. 19).
Bei der Analyse von Politikern besteht die Gefahr – und der muss sich der Psychoanalytiker kritisch und selbstkritisch stellen -, sich dem „Vorwurf einer Pathologisierung des politischen Gegners“ (Wirth 2002, S. 17) auszusetzen. Deshalb möchte ich hier vorweg ausdrücklich betonen, dass es mir bei meiner Analyse der Ängste von und vor George W. Bush darum geht, die Möglichkeiten des psychoanalytischen Instrumentariums dafür zu nutzen, aufzuzeigen, wie eng der Zusammenhang zwischen der Politik und den Menschen, die diese Politik machen (Wirth 2002, S. 12), ist. Und „welchen Einfluss unbewusste psychische Konflikte auch auf politische Entscheidungen von höchster Tragweite haben“ (Wirth 2002, S. 11) können, und schließlich welche möglichen „Verflechtungen zwischen individueller Psychopathologie, den sozialstrukturellen Bedingungen der Macht und den Identitätskonflikten der jeweiligen Bezugsgruppe“ (Wirth 2002, S. 12) bestehen können.
Genauso wie es eine Simplifizierung der Situation wäre, Bush zum isolierten, völlig unabhängigen Alleinverantwortlichen für alle seine politischen Entscheidungen zu machen und damit seine Verflechtungen und Verpflichtungen in ihn umgebende (und finanzierende) Gruppen und Einzelne zu ignorieren und zu verleugnen, wäre es eine ebensolche Simplifizierung, ihn zu einer völlig abhängigen, zu eigenen Entscheidungen unfähigen, und damit persönlich unverantwortlichen Marionette anderer zu erklären.
Meine Überlegungen sind sehr wesentlich durch die Ausführungen im Buch meines amerikanischen Kollegen Justin A. Frank: Bush auf der Couch. Wie denkt und fühlt George W. Bush? inspiriert, das im August 2004 in den USA und kurze Zeit später auf deutsch im Psychosozial Verlag erschienen ist. Allerdings habe ich seinen, mir bisweilen etwas zu eng erscheinenden, kleinianischen Rahmen an einer ganzen Reihe von Stellen um eigene Gedanken erweitert. Zusätzlich habe ich Einiges an weiterer Literatur über George W. Bush, seine Person und seine Politik zu Rate gezogen und verarbeitet.
Bestärkt in meinem Vorhaben fühle ich mich durch die amerikanischen Psychoanalytiker Roberta J. Apfel und Bennett Simon (2005, S. 201), die ihren Buch-Essay über Trauma, Gewalt und Psychoanalyse im International Journal of Psycho-Analysis mit dem bemerkenswerten Satz beenden, „daß das Risiko sich [politisch] zu engagieren weitaus geringer ist als das Risiko, sich [politisch] rauszuhalten“.
3. Das Erscheinungsbild von George W. Bush in der Öffentlichkeit
Wiederholt betont Bush „mit einem Stolz, der eine Abwehrhaltung kaschieren könnte, dass er keine Zeitung liest“ (Kelly 2004, S. 650; Frank 2004, S. 49). „Mit Büchern kann ich nicht viel anfangen, ich verlasse mich lieber auf meinen Bauch“ (zit. n. Laurent 2003, S. 14). „Was an Büchern mit am besten ist: Manchmal sind da phantastische Bilder drin“ (zit. n. Weisberg 2003a, S. 31). Justin Frank (2004, S. 49) wirft die Frage auf, ob solche Äußerungen Bushs nicht auch ein indirekter Hinweis auf eine Dyslexie, also eine Leseschwäche sein könnten? In seinem Elternhaus gab es jedenfalls kein Lexikon, und eine mit der Familie Bush bekannte Professorin erinnert sich: „ein Haus, in dem weit und breit kein Buch zu sehen war“ (Kelly 2004, S. 294; Frank 2004, S. 49). Bushs Kommilitone aus der Yale-Zeit Tom Wilner (Kelly 2004, S. 287) berichtet: „Georgie, wie wir ihn damals nannten, fehlte es völlig an intellektueller Neugier... Er war nicht an Ideen oder Büchern oder Diskussionen interessiert. Er reiste nicht, er las keine Zeitungen... Dieser Typ hat überhaupt keine Vorstellungen von komplexen Dingen... Er ist ein einfältiger Eiferer und - Gott helfe uns allen -, er ist jetzt derjenige, der den Finger am roten Knopf hat“. Vor seinem Amtsantritt als Präsident im Alter von 54 Jahren war Bush kein einziges Mal in Europa (Kelly 2004, S. 645). Der amerikanische Historiker Robert Dallek bezeichnet ihn als den „dümmsten Mann, der jemals im Oval Office“ saß (Kelly 2004, S. 645).
Nachdem Bush am Morgen des 11. September 2001 über den Terroranschlag gegen das World Trade Center informiert worden war, erstarrt er zunächst vor Schrecken. Dann setzt er noch mehrere Minuten „mit unbewegter Miene“ (Wirth 2002, S. 385), scheinbar ungerührt, sein Vorlesen vor Schulkindern fort. Nach einer kurzen Stellungnahme vor den Mikrophonen flüchtet er dann in die Air Force Number One. Er fliegt zunächst zum Luftwaffenstützpunkt Barksdale in Louisiana, gibt eine zweite kurze Stellungnahme ab, und flüchtet weiter auf den Luftwaffenstützpunkt Offutt in Nebraska. Vielleicht enthält diese Szenerie einiges an Symbolik über seinen Umgang mit der Angst. Bei seiner Flucht hebt Bush zunächst ab. In Offutt taucht er dann in einem unterirdischen Bunker unter. Erst am Abend desselben Tages kehrt Bush ins Weiße Haus zurück (Kelly 2004, S. 659ff.) und hält dann gegen 20.30 Uhr eine nervöse Rede an die Nation. Als er am darauffolgenden Wochenende nach Gesprächen mit seinen Sicherheitsberatern aus Camp Davis zurückkehrt, ist er wie verwandelt. Nach seiner Niederkunft in Washington sind seine ersten Worte an die Reporter: „Das ist ein Kreuzzug“ (Kelly 2004, S. 662; kursiv T.A.). Bush setzt sich an die Spitze der Bewegung gegen den Terror. Er erklärt sich zum Oberbefehlshaber der Kreuzritter gegen das Böse. Der erschreckte, verängstigte und verwundete Verlierer vom 11. September verwandelt sich kontraphobisch in einen scheinbar siegessicheren Kriegsherrn, der den Terrorismus der ganzen Welt bis in seine Wurzeln ausrotten will. Dabei ist dann im Laufe der Zeit immer weniger zu unterscheiden, gegen wen dieser Kampf eigentlich geführt wird, gegen den äußeren Schrecken (des Terrorismus, vor allem verkörpert in Osama bin Laden und später Saddam Hussein) oder gegen seine inneren Ängste? Der Hintergrund dieser, seiner persönlichen Ängste wird gleich aus meinen Ausführungen über Bushs Lebensgeschichte deutlicher werden.
Die am 11. September 2001 begonnene Szene angsterfüllten fluchtartigen Abhebens vollendet Bush dann am 1. Mai 2003 mit seiner berühmten Landung als strahlender Sieger in Pilotenmontur auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln, wo er das Ende der größeren Kampfhandlungen (im Irak) verkündet. Lässt sich eine grandiosere mediale Überwindung von Schwäche und Angst inszenieren (vgl. Kelly 2004, S. 668f.)? Frank (2004, S. 187) spricht vom „militärischen Scheinhelden“. Zwanzig Jahre zuvor hatte sich schon einmal ein amerikanischer Präsident - nach seiner Verletzung durch das Attentat vom 30. März 1981 - nämlich Ronald Reagan, im August 1981 auf einem Flugzeugträger als Held inszeniert (König 1984; Frank 2004, S. 17).
Aber der äußere Kampf im Irak ist - bis zum heutigen Tage (Ende 2006) - sowenig beendet wie wohl der innere Konflikt in George W. Bush. Bush als heldenhafter Sieger in Fliegeruniform ist ein ebensolcher fake wie der Plastiktruthahn, den er mediengerecht seinen Soldaten 2003 im Irak an Thanksgiving präsentiert (vgl. Frank 2004, S. 123). Der Puter war in Wirklichkeit eine Ente, eine Zeitungsente nämlich!
In der Regierung Bush zählt nicht die Moral, „es zählt allein die Loyalität“, schreibt der französische Journalist Eric Laurent (2003, S. 204; Frank 2004, S. 69) - denn Solidarität und Loyalität reduzieren die Ängste des Präsidenten. „Faktisch die gesamte Regierungsmannschaft lebt anscheinend in einem geschlossenen und unantastbaren Universum“ (Laurent 2003, S. 204). „Es gibt keine Differenzierungen mehr, nur noch ‘pro’ oder ‘contra’“ (Laurent 2003, S. 205). „Ich glaube, daß wir uns in den USA in einer prätotalitären Situation befinden“, stellt der Schriftsteller Norman Mailer (2003, S. 100) fest. „Demokratie und Sicherheit sind nämlich Feinde“ (Mailer 2003, S. 101). Der französische Politikwissenschaftler Emmanuel Todd (2003, S. 32ff.) konstatiert einen „unaufhaltsamen und unglückverheißenden Weg: den der Oligarchie“ anstelle und unter dem Deckmäntelchen der Demokratie. Nämlich: „Dass das [amerikanische] Imperium von einer unanständig reichen Oberschicht abhängt“ (Mailer 2003, S. 65). Der amerikanische Politikwissenschaftler Chalmers Johnson (2003) spricht für den aktuellen Zustand vom „Selbstmord der amerikanischen Demokratie“, der Journalist Mark Hertsgaard (2002, 169ff.) von der „Tragödie der amerikanischen Demokratie“.
In West Point erklärt Präsident Bush am 1. Juni 2002, die USA hätten das Recht, jede Regierung zu stürzen, die eine Gefahr für ihre Sicherheit darstellen könnte. „Wir müssen... gegen die größten Bedrohungen bereits vorgehen, bevor sie entstehen“ (zit. n. Johnson 2003, S. 391; kursiv T.A.). Der „einzige Weg zu Frieden und Sicherheit ist der des aktiven Handelns“ (zit. n. Johnson 2003, S. 391), also Prävention. In der Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten vom 20. September 2002 heißt es in der Präambel: „dass es nur ein einziges dauerhaftes Modell für den Erfolg einer Nation gäbe“, nämlich das amerikanische, das „für alle Menschen in allen Gesellschaften richtig und wahrhaftig ist“ (zit. n. Johnson 2003, S. 392; kursiv T.A.). Der amerikanische Politikwissenschaftler Chalmers Johnson (2003, S. 392) folgert daraus: „Durch ihre Vorgehensweise werden die USA gerade jene Gefahren heraufbeschwören, die sie angeblich bannen wollen“ (3).
Auch Justin Frank (2004, S. 99) beschreibt den Teufelskreis der Gewalt: „Je mehr Bush amerikanische Truppen ausschickt, um Gewalt in der Welt zu verbreiten, umso größer wird seine Furcht vor Vergeltung und umso größer sein Bedürfnis danach, wieder auf Gewalt zurückzugreifen. In dem Versuch, die Sicherheit zu erhöhen, erhöht er eigentlich sein eigenes Gefühl der Gefährdung“. Oder anders formuliert: „Der Terror, von dem er die Welt zu befreien verspricht, ist tatsächlich eine ganz andere Furcht: seine schwer zu handhabende Angst vor persönlicher Bestrafung“ (Frank 2004, S. 127). Wofür, wird ebenfalls gleich aus seiner Biographie verständlicher werden.
Wie Jürgen Wirth (2002, S. 50) in seinem Buch Narzissmus und Macht betont, manifestiert sich die „Verleugnung der eigenen Ohnmacht und Hilflosigkeit [häufig] in der Phantasie von der eigenen Allmacht“. „Die Ausübung von Macht und der pathologische Narzissmus stellen Strategien dar, um die Abhängigkeit zu verleugnen“ (Wirth 2002, S. 51).
Ich möchte ein Beispiel dafür geben, was ich als einen Realitätsverlust dieses Präsidenten und eine megalomane Abwehr der Realität betrachte: Zur gleichen Zeit als Anfang 2004 in der Öffentlichkeit ein Haushaltsdefizit von 500 Milliarden Dollar offenbar wird und, dass fast ein Viertel der Gesamtausgaben der USA von rund 2,3 Billionen Dollar über Kreditaufnahme finanziert werden muss, verkündet Bush, dass er Menschen zum Mars schicken will und zur Vorbereitung dafür eine Siedlung oder zumindest eine feste Station auf dem Mond schaffen will (4). Während es auf dem Boden brennt, greift Busch nach den Sternen, der All-Macht! „Während seiner ersten Amtszeit hat George W. Bush - einem Bonmot seiner Parteifreunde zufolge - Geld ausgegeben ‘wie ein betrunkener Linker’“ (Kleine-Brockhoff 2004b; kursiv T.A.).
„Als ich aufgewachsen bin, war die Welt gefährlich“, sagt Bush im Jahr 2000 (zit. n. Weisberg 2003b, S. 24) „und man wusste genau, wer die waren. Es hieß, wir gegen die, und es war klar, wer die waren. Heute wissen wir nicht mehr so genau, wer diese die sind, aber wir wissen, dass sie da sind“. Eine Woche vorher hatte er festgestellt: „Diese Welt ist immer noch gefährlich. Es ist eine Welt voller Wahnsinn und Ungewißheit“ (zit. n. Weisberg 2003b). „Es ist nicht schwer, sich vorzustellen“, schreibt Frank (2004, S. 86f.), dass Bush „knapp unter der Oberfläche unter einer ihm eigenen Furcht vor dem Zerbrechen leidet“, einer „Angst vor Fragmentierung“. Auch das wird gleich durch die biographischen Anmerkungen in seinen Wurzeln deutlicher werden. „Nachdem er, während er redet, den Faden verloren hat, lösen sich seine Aussagen häufig in bedeutungslose Fragmente auf, bis er den Faden wieder findet, die Diskussion beendet oder den Fragenden angreift“ (Frank 2004, S. 87). „Die Präsidentschaft ist vielleicht der einzige Job“, meint Frank (2004, S. 259), „der George W. Bush das Gefühl der Sicherheit geben konnte, als Präsident hatte er die Kontrolle über alles und ist von Menschen umgeben, die ihn beschützen“.
4. Zur Biographie von George Walker Bush – Lebensgeschichte und Familienhintergrund
„Man wird schlecht durch Leiden“
(Michael Balint 1966)
George Walker Bush wird im Juli 1946 als erstes Kind von George Herbert Walker Bush (22 J. alt) und Barbara Pierce Bush (21 J. alt) geboren. Die Heirat hatte am 6. Januar 1945 stattgefunden. Einige Zeit nach der Geburt von George erleidet Barbara eine Fehlgeburt (Kelly 2004, S. 118). Dreieinhalb Jahre später, im Dezember 1949 kommt dann Georges Schwester Robin zur Welt. Drei Monate vor deren Geburt verliert Barbara Bush plötzlich ihre Mutter, Pauline Pierce (53 J.), durch einen Autounfall. Die Beziehung zwischen beiden ist so schlecht, dass Barbara nicht einmal an der Beerdigung teilnimmt. Ihre Mutter war offenbar wenig mütterlich, autoritär, schlug ihre Kinder, war chronisch depressiv und vorrangig mit ihrem eigenen Schmerz beschäftigt (Frank 2004, S. 24ff.). Die sehr junge, tatsächlich und seelisch allein gelassene Mutter Barbara Bush konnte ihrem Sohn George - „ohne eigenes Verschulden“ (Frank 2004, S. 31)! - wohl nie die angemessene und lebensnotwendige emotionale Frühförderung angedeihen lassen, die er zur Entwicklung eines hinreichenden Urvertrauens und einer hinreichenden Ursicherheit benötigt hätte. So bleibt George von Anfang an mit seinen primitiven Ängsten allein gelassen und in ihnen verhaftet. Als Folge davon bleibt er auch an die archaischen psychischen Regulationsmechanismen Spaltung (in nur Gut und nur Böse) und Projektion fixiert (vgl. Frank 2004, S. 30). „Es gibt also guten Grund, George W. Bushs Drang, die Welt von gefährlichen Menschen zu befreien, nicht einfach [nur] als die politische Haltung eines Präsidenten zu sehen - sondern [auch] als den Drang eines vernachlässigten und emotional behinderten Kindes, das schreckliche Angst davor hat, den Gefahren seiner eigenen Psyche gegenüberzutreten“, so Frank (2004, S. 32f.).
Barbara Bush beschreibt ihr Selbstverständnis Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts folgendermaßen: „Ich spiele Tennis, engagiere mich ehrenamtlich und bewundere George [Herbert] Bush“ (Kelly 2004, S. 109). „Wissen Sie, George [Herbert] fragt nie etwas... Er trifft unsere Entscheidungen“ (Kelly 2004, S. 117; kursiv T.A.).
Die vermutliche nicht hinreichend gute Frühversorgung und damit mangelhafte emotionale und kognitive frühe Unterstützung in der Erfahrungsverarbeitung (das mangelnde Containing) beeinträchtigt die basalen Mentalisierungsprozesse von George und behindert grundlegend die Entwicklung von ausreichend guten Symbolisierungs-, Denk- und Empathiefähigkeiten.
Sein Vater ist in der Frühkindheit von George mehr mit seinem Studium und seiner Mitgliedschaft in unzähligen studentischen Organisationen beschäftigt als mit seinem Sohn. George Herbert Bush ist wesentlich ein abwesender Vater (Frank 2004, S. 36f.; Kelly 2004, S. 292, S. 294). Er stellt sich seinem Sohn in der Frühzeit nicht als die Mängel der Mutter kompensierendes, Halt vermittelndes Objekt zur Verfügung (vgl. Frank 2004, S. 36f.). Später versäumt er es dann, sich ihm als Objekt der ödipalen Auseinandersetzung anzubieten (Frank 2004, S. 173ff.). Insofern bleibt George in höchst ambivalenter Weise an seine Mutter Barbara gebunden, ein Muttersöhnchen (vgl. Kelly 2004, S. 274, S. 643). „Mein kleiner Mann“, nennt ihn Barbara Bush (Kelly 2004, S. 160). Lebenslang wird George um die Zuneigung und Anerkennung seines Vaters buhlen (Kelly 2004, S. 375, S. 569). Nach der Anfangszeit in Yale verbringt die Familie Bush ein Jahr in Compton in Kalifornien und zieht dann 1949 nach Odessa in Texas, sechs Monate später nach Midland. Der kleine George muß also ständige Umzüge und damit verbundene Trennungen und Verluste verkraften. Im Februar 1953 wird dann schließlich sein Bruder John Ellis Bush, genannt Jeb geboren.
Wenige Wochen später bricht dann 1953 eine traumatische Katastrophe über die Familie Bush herein. Der wie oben dargestellt durch emotionale Vernachlässigung psychisch vorbelastete George ist jetzt sechs Jahre alt. Bei seiner kleinen Schwester Robin wird eine Leukämie im weit fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Als Dr. Wyvell den Eltern diese furchtbare Nachricht mitteilt: „gegen Leukämie kann man gar nichts tun“ , begehrt George H. Bush dagegen auf: „Das gibt es nicht. Man kann immer etwas tun“ (Kelly 2004, S. 146). Um eine experimentelle Krebstherapie in New York durchführen lassen zu können, werden der sechsjährige George und das Baby Jeb zunächst bei Nachbarn untergebracht. Später wird eine Haushälterin eingestellt und die Kinder kehren zumindest ins vertraute eigene Haus zurück. Barbara Bush, zu der Zeit 28 Jahre alt, aber bleibt monatelang in New York, um Robin bei der qualvollen Tortur von Knochenmarksbiopsien, Bluttransfusionen und Chemotherapie zur Seite zu stehen (Kelly 2004, S. 148).
Gerade für einen Erstgeborenen ist, wie wir wissen, die Geburt eines Geschwisterchens in der Regel eine höchst ambivalente Angelegenheit. Durch die Erkrankung seiner nächstgeborenen Schwester Robin - kurz nach der Geburt eines weiteren Geschwisters, Jeb - erlebt George, wie ihm die Mutter real weggenommen wird. Seine vermutlich daraus resultierenden unbewussten reaktiven aggressiv-destruktiven Impulse und Phantasien gegen Robin gehen dann durch deren Tod am 11. Oktober 1953 tatsächlich in Erfüllung.
Während der Krankheit von Robin wird George nicht darüber aufgeklärt, warum er nicht mehr mit seiner Schwester spielen darf - weil nämlich Blutergüsse für sie gefährlich wären. Ebenso wenig kann er deswegen auch verstehen, warum seine Mutter ihn für Monate verlässt. „Wir dachten, er sei noch zu jung, um es zu verkraften“, „Ich hatte Angst, er würde es Robin erzählen, ich wollte nicht, dass sie erfuhr, was passieren würde... Ich wollte unbedingt, dass sie glücklich war“, erklärt Barbara (Kelly 2004, S. 151) später. Das Leiden ebenso wie andere bedeutsame Empfindungen werden in der Familie Bush weitgehend unterdrückt (Frank 2004, 34). Zu dieser Leidensverdrängung passt, dass ihre Eltern am Tag nach Robins Tod zu Barbaras Vater fahren und mit ihm Golf spielen gehen (Kelly 2004, S. 153). Eine Trauerfeier für Robin findet nicht statt (Frank 2004, S. 21).
Mit der Entscheidung, George in Unwissenheit über Robins Erkrankung zu lassen, wird er aber zugleich mit seinen Gefühlen alleingelassen. Er lernt weder Möglichkeiten, zu trauern noch, sich mit seinen unbewußten Schuldgefühlen über seine aggressiven Impulse gegenüber seinen Geschwistern auseinanderzusetzen (Frank 2004, 35). Diese Gefühle müssen statt dessen abgespalten und verdrängt werden. Der familiäre Umgang mit dieser Traumatisierung vertieft die emotionalen Defizite von George, die aus seiner vorher beschriebenen mangelhaften emotionalen Frühförderung resultieren. Frank (2004, S. 35) macht auf die bedeutsamen Folgen davon aufmerksam: „Die Fähigkeit zu leiden ist die Voraussetzung für die Fähigkeit, Mitleid zu haben und sich um anderen zu sorgen“.
Und das Kind mit dieser Geschichte wird als „Erwachsener ausgerechnet zu dem Zeitpunkt Präsident, als seine Nation den Moment ihrer größten Trauer erlebt - die Zeit der tiefen Erschütterung nach dem 11. September 2001“ (Frank 2004, S. 36).
„Von ihren Kindern ‚die Vollstreckerin’ genannt, hat Barbara Bush selbst zugegeben, in der Familie immer für Zucht und Ordnung gesorgt zu haben. Aus dem meisten Berichten geht hervor, dass sie eine kalte Erzieherin war und ihren Kindern ohne weiteres den Hintern versohlte“ (Frank 2004, S. 22). Sie selbst war ja mit Schlägen von Seiten ihrer Mutter aufgewachsen (Frank 2004, S. 24).
Nach dem Tod von Robin schwört sich Barbara, so bald wie möglich wieder eine Tochter zu bekommen, und wird so lange schwanger, bis sie wieder eine zur Welt bringt. Nach Neill, geboren 1955 und Marvin, geboren 1956 und einer weiteren Fehlgeburt, kommt 1959 schließlich Dorothy zur Welt (Kelly 2004, S. 153).
Wie wenig tragfähig die Leidensverdrängung ist, wird deutlich, als George einige Zeit nach dem Tod von Robin zum ersten Mal außerhalb des Elternhauses bei einem Schulfreund übernachtet. „Die ganze Nacht hindurch“ wurde George „von ständigen Albträumen heimgesucht, bis seine Mutter kam, um ihn zu trösten“ (Minutaglio zit. n. Frank 2004, S. 34).
Bushs bis heute anhaltende Neigung zu possenhaftem Verhalten beginnt bald nach dem Tod seiner Schwester, „als seine ohnehin bereits distanzierte Mutter ihm durch ihre heimliche Trauer emotional zunächst noch weniger zur Verfügung stand als bereits zuvor“ (Frank 2004, S. 41). Donald W. Winnicott und später Heinz Kohut haben auf die große Bedeutung des spiegelnden Gesichts hingewiesen: "Das Selbst nimmt sich wesentlich in den Augen seiner Mutter und in ihrem Gesichtsausdruck wahr", schreibt Winnicott (1989, S. 271; vgl. 1971, S. 111). Ähnlich Kohut (1973, S. 141), der von „jener normalen Entwicklungsphase des Größen-Selbst“ spricht, „in dem der Glanz im Auge der Mutter, der die exhibitionistische Darstellung des Kindes wiederspiegelt, das Selbstwertgefühl des Kindes stärkt“. Und Winnicott (1971, S. 116) betont: "Es wäre doch furchtbar, wenn das Kind in den Spiegel blickt und nichts sieht". Genauso schlimm wäre es, wenn es ins Antlitz seiner Mutter schaut und nur "ihre eigene Stimmung oder - noch schlimmer - die Starrheit ihrer eigenen Abwehr" (Winnicott 1971, S. 112) widergespiegelt bekommt. Genau das aber dürfte dem kleinen George angesichts seiner traurigen, aber gleichzeitig diese Trauer aufs Heftigste abwehrenden, Mutter begegnet sein.
Eine seiner Cousinen, die ebenfalls den Verlust eines Geschwisters verarbeiten muss, meint: „Wir waren beide Clowns. Ich glaube, oft versuchen Kinder, die ein Geschwister verlieren, Wege zu finden - und sie finden sie -, um es der Familie leichter zu machen“ (zit. n. Frank 2004, S. 41; vgl. Kelly 2004, S. 160, S. 568). Und Frank (2004, S. 41) ergänzt: „Niemand führte ihn durch den Prozess des Trauerns, also nahm George es auf sich, seine trauernde Mutter aufzuheitern“ (vgl. Kelly 2004, S. 160). „Nach dem Tod seiner Schwester Robin wurde er zum Familienclown, eine Rolle, in der er seine Eltern immer wieder erheiterte. Er stand im Zentrum der Aufmerksamkeit, weil er alle zum Lachen brachte" (Kelly 2004, S. 568; kursiv T.A.). „Der junge George gab einen Teil seiner... Kindheit auf, weil er für seine Eltern da sein musste, die ihn emotional forderten, besonders seine trauernde Mutter. Das kompensierte er später über alle Maßen. Er pfiff auf seine Rolle als verantwortungsvoller Erstgeborener und verlängerte seine Jugend bis weit ins Erwachsenenalter hinein“ (Kelly 2004, S. 160). Dazu werde ich gleich Beispiele bringen.
Auch auf der Vorbereitungsschule fürs College in Andover tritt George als dreister und provokanter Witzbold auf: „Er brauchte ein Publikum, dass ihn zu schätzen wusste“ (Kelly 2004, S. 276). Bis heute fällt es Bush schwer, „keine Grimassen zu schneiden, andere nicht kneifen oder nicht mit ihnen zu scherzen“ (Frank 2004, S. 46). In Michael Moores Film Fahrenheit 9/11 werden einige dieser dokumentierten Clownerien des Präsidenten vorgeführt (vgl. Frank 2004, S. 46). Seine öffentlich präsentierte scheinbar „unbeschwerte Jovialität“, seine Clownerie, wechselt abrupt mit einer emotionalen Starre, einem „leeren Blick wie ein Tier, das in die Scheinwerfer eines Autos starrt“ (Frank 2004, S. 39). Auch George W. Bush ist in der Tiefe seiner Seele ein trauriger Clown!
Schon in der Grundschule fällt George als „Bushtail“ auf, ein Junge der ständig unter Strom steht (Frank 2004, S. 42), heute würden wir das wahrscheinlich ADS (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) nennen. Frank (2004, S. 42f.) vermutet auch hinter dieser Hyperaktivität den Versuch einer Angstbewältigung.
Unbewältigte kindliche Ängste können nicht nur die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen, sondern auch das gesunde Denkvermögen (Frank 2004, S. 43f.). Vielleicht werden sich auch Bushs unzählige sprachliche Fehlleistungen dadurch verständlicher. Der amerikanische Journalist Jacob Weisberg (2003a, 2003b) hat sie in zwei Bänden zusammengetragen und dafür die Bezeichnung „Bushismen“ geprägt.
Da sind einerseits die, über die man noch lachen kann: „Ich glaube darin sind wir uns einig: die Vergangenheit ist vorbei“ (Weisberg 2003a, S. 50), „Ich kenne mich aus mit dem Wachstum kleiner Unternehmen. Ich war auch mal eines“ (Weisberg 2003a, S. 16), „Ich weiß, daß Mensch und Fisch friedlich zusammenleben können“ (Weisberg 2003a, S. 19), „Man bringt einem Kind das Lesen bei, und dann kann sie oder ihn einen Lese-Rechtschreib-Test bestehen“ (Weisberg 2003a, S. 86). „Die Frau, die behauptet, ich hätte Dyslexie - die habe ich nie interviewt“ (Weisberg 2003b, S. 17; Frank 2004, S. 49).
Und dann die verbalen Entgleisungen, bei denen einem das Lachen im Halse steckenbleibt: „Mit menschlicher Fälschbarkeit kenne ich mich aus“ (Weisberg 2003a, S. 18), „Also ich denke, wenn Sie sagen, Sie werden etwas tun und tun es dann nicht, das ist Glaubwürdigkeit“ (Weisberg 2003a, S. 115; Kelly 2004, S. 630). „Schließlich lernen hier Kinder aus ganz Amerika, wie man ein verantwortungsbewusster Bürger wird, und eignen sich die nötigen Fähigkeiten an, um aus unserer phantastischen opportunistischen Gesellschaftihren Vorteil zu ziehen“ (Weisberg 2003a, S. 98; Frank 2004, S. 164), „Ich glaube, wenn man weiß, was man glaubt, ist es viel einfacher, Fragen zu beantworten. Ich kann Ihre Frage nicht beantworten“ (Weisberg 2003a, S. 25), „Ich glaube nicht, dass wir im Staat Texas einen schuldigen - ich meine unschuldigen - Mann hingerichtet haben“ (Weisberg 2003a, S. 41), und schließlich: „Wenn wir eine Diktatur hätten, wäre alles weiß Gott viel einfacher, solange ich der Diktator bin“ (Weisberg 2003a, S. 95; Frank 2004, S. 245).
Exkurs: Die Aggressivität von George W. Bush
Ein emotional vernachlässigtes Kind, konfrontiert mit ständigen Trennungs- und Verlusterfahrungen und traumatisiert durch den Tod eines, auch gehassten, Geschwisters muss eine Menge Enttäuschungswut, Ressentiment, Ärger und Aggressivität in sich aufgestaut haben. Und in der Tat zeigt George schon als Kind aggressiv-sadistische Neigungen. So stopft er als Kind Frösche mit Knallkörpern voll, steckt die Zündschnur an und lässt sie explodieren (Parsons zit. n. Frank 2004, S. 129). Als Präsident seiner Studentenverbindung in Yale lässt er junge Anwärter mit einem Brandeisen, der glühenden Spitze eines Drahtbügels, brandmarken (Kelly 2004, S. 257; Frank 2004, S. 129). „In den sechs Jahren seiner Amtszeit in Texas genehmigte er 152 Hinrichtungen (150 Männer und 2 Frauen), ein Rekord, der in jüngerer Zeit von keinem anderen amerikanischen Gouverneur auch nur annähernd erreicht wurde“ (Kelly 2004, S. 617). Sarkastisch und grausam äfft er eine der hingerichteten Frauen, Karla Faye Tucker, in einem Gespräch mit einem Reporter nach: „George schürzte seine Lippen in gespielter Angst und winselte: ‘Bitte, bringen Sie mich nicht um“ (Kelly 2004, S. 619; Frank 2004, S. 141). „Im Sommer 2003 stimmt Bush der groß angelegten Verbreitung der brutalen und unmissverständlichen Bilder von Saddams ermordeten Söhnen zu“ (Frank 2004, S. 143). Es fällt schwer, einem Mann, der so handelt, seine veröffentlichte Empörung über Folterungen und Sadismen seiner Soldaten in Afghanistan, im Irak, in Guantanamo Bay und andernorts als unamerikanisch abzunehmen. Und heute sitzt dieser tief aggressive Mann auf dem größten Destruktionspotenzial aller Zeiten!
1961 wird George als Zehntklässler für seine High-School-Zeit in die Vorbereitungsschule in Andover, einem Internat, aufgenommen und bleibt dort bis 1964. Er schafft den Abschluss als „einer der schlechtesten“ (Kelly 2004, S. 273). Nur dank der Verbindungen seiner Familie (Großvater und Vater) wird er 1964 für seine College-Zeit in der Universität Yale aufgenommen (Kelly 2004, S. 280). Ein Kommilitone, Ken White, erinnert sich: „Er hatte so ein Flair des bösen Buben, das andere Jungens anzog. Er rauchte Luckey Strikes ohne Filter, um so richtig machohaft zu wirken... er hatte so eine Tendenz immer gleich wütend zu werden. Er hatte etwas Brutales an sich. Er war sehr aggressiv“ (zit. n. Kelly 2004, S. 283).
Seine Alkoholeskapaden steigern sich, George traut sich nicht, mit Frauen auszugehen, wenn er nicht angeheitert ist (Kelly 2004, S. 285). Sein übermäßiger Alkoholkonsum bringt ihn gelegentlich auch mit dem Gesetz in Konflikt (Kelly 2004, S. 287).
1968 schließt George mit einem C-Durchschnitt, also einer Drei sein College-Studium ab (Kelly 2004, S. 291), „als einer der schwächsten Studenten seines Jahrganges... schaffte er gerade mal den Abschluss“ (Kelly 2004, S. 569).
George Herbert Bush, George W. Bushs Vater, „unterstützte nach Kräften, dass die Söhne von Amerikanern nach Vietnam geschickt wurden. Dies galt jedoch nicht für seine eigenen. 1968 erreichte er, dass sein Erstgeborener nicht eingezogen wurde“ (Kelly 2004, S. 314). Im Vietnamkrieg kämpfte eine unverhältnismäßig hohe Zahl von Schwarzen (Kelly 2004, S. 263). „Von den 234 Söhnen der Senatoren und Abgeordneten, die während des Krieges erwachsen wurden, gingen nur 28 nach Vietnam, und von diesen wurden nur 19 in den Kampf geschickt“ (Kelly 2004, S. 261). Um Vietnam zu entgehen, bewirbt sich George W. Bush bei der Air National Guard.
„Den Eignungstest für Piloten bestand er mit der schlechtmöglichsten Note. Trotzdem wurde er dank des Einflusses seines Vaters, in die Air National Guard aufgenommen“ (Kelly 2004, S. 314). Schon nach einer sechswöchigen Pilotengrundausbildung erhält Bush im September 1968 sein Offizierspatent als Oberleutnant, ohne jemals eine Officers Training School besucht zu haben (Kelly 2004, S. 318)! Das medienspektakuläre Überreichen des Offizierspatents durch seinen Vater diente vor allem dessen Wahlkampfzwecken!
Ohne höheren Studienabschluss und ohne Vollzeitjob vertrödelt George, nachdem er 1970 den Wahlkampf seines Vaters für einen Kongressposten unterstützt hatte, seine Zeit (Kelly 2004, S. 320f.).
Exkurs: Die Alkoholkrankheit von George W. Bush
Nach psychoanalytischer Auffassung machen Erkrankungen und Symptombildungen Sinn, sie besitzen eine bedeutsame Funktion in der seelischen Regulation eines Menschen. Auch die über zwanzigjährige Alkoholkrankheit von Bush war ein unbewusster Problemlösungsversuch. Sein Alkoholismus sollte wie bei vielen Alkoholikern dazu dienen, seinen unbewussten Schmerz zu unterdrücken und vor allem seine unbewussten Ängste zu beruhigen (Frank 2004, S. 59ff.).
Das Alkoholproblem von George W. Bush begann spätestens in seiner Spätadoleszenz während seiner College-Zeit in Yale (Kelly 2004, S. 279, S. 285). „Von seinen Jahren auf der Vorbereitungsschule... bis über seinen 40. Geburtstag hinaus brauchte und missbrauchte Bush regelmäßig Alkohol, um seine verängstigte Seele zu beruhigen“ (Frank 2004, S. 60, S. 65). Justin Frank (2004, S. 73) fordert: „Jede umfassende psychologische und psychoanalytische Studie von Präsident Bush müsste erklären, wie stark sich das Gehirn und seine Funktionen in über 20 Jahren starken Alkoholkonsums verändert haben“.
1986 anlässlich seines 40. Geburtstages hört Bush mit dem Trinken auf (Kelly 2004, S. 471). Er wird durch den Evangelisten Arthur Blessit bekehrt (Kelly 2004, S. 576).
Da die Beendigung der Alkoholerkrankung zeitgleich mit seiner religiösen Erweckung einhergeht, liegt der Verdacht nahe, dass die Religiosität von Bush schlicht an die Stelle des Alkoholismus getreten ist, und insofern der religiöse Glaube von Bush als Regulationsversuch und Bewältigungsversuch (Frank 2004, S. 76) für ungelöste Konflikte funktionalisiert und instrumentalisiert worden ist. Ist hier nur ein Betäubungs- und Beruhigungsmittel gegen ein anderes ausgetauscht worden? Bushs Kommilitone William James hatte einst bemerkt: „Das einzige wirkliche Heilmittel für die Trunksucht, die ich kenne, ist die religiöse Sucht“ (Kelly 2004, S. 577). Vertretern der wichtigsten protestantischen Kongregationen erklärt Bush 2000 nach seiner Wahl zum Präsidenten: „Wissen Sie, ich hatte Probleme mit dem Alkohol. Eigentlich müßte ich jetzt in einer Bar in Texas sitzen und nicht hier im Oval Office. Es gibt nur einen Grund, warum ich hier und nicht in dieser Bar bin: Ich habe zum Glauben zurückgefunden, zu Gott. Nur die Kraft des Gebets hat mich hierher gebracht“ (zit. n. Laurent 2003, S. 21; vgl. Frank 2004, S. 62).
In einem Telefonat lässt der mit den Bushs befreundete Reverend Billy Graham gegenüber Barbara und George W. Bush den bemerkenswerten Satz fallen: „Spielt nicht Gott. Wer seid ihr, dass ihr glaubt Gott spielen zu können“ (zit. n. Kelly 2004, S. 578).
Die „nicht enden wollenden Anstrengungen, mit Ängsten fertig zu werden, führen zwangsläufig zu einem übertriebenen Grad an Unbeweglichkeit im Denken und Handeln des ehemaligen Trinkers“, meint Frank (2004, S. 65). Auch Bushs relativ starres Festhalten an einer „straff organisierten Tagesroutine“ (Frank 2004, S. 46, S. 90; Kelly 2004, S. 616), seine „eiserne Selbstkontrolle“ (Kelly 2004, S. 579) lässt sich als ein Versuch verstehen, seine Impulsivität und Unbeherrschtheit unter Kontrolle zu bringen. „Seine starren Schlaf- und Trainingsrhythmen schützen ihn vor dem Unerwarteten“ (Frank 2004, S. 90). Aber mit unbeweglichen seelischen Abläufen gehen „unbewegliche Gedankengänge einher... eine sture, fast besessene Art, an Ideen und Plänen festzuhalten“ (Frank 2004, S. 66). „Für jemanden, der so verzweifelt versucht, sich nicht zu verirren, ist eine weitere Schutzmöglichkeit, an einer Vorstellung festzuhalten (oder sogar an einigen Schlüsselsätzen) und diese nicht loszulassen“ (Frank 2004, S. 87). „Selbstschutz ist wichtiger als Selbstprüfung“ (Frank 2004, S. 67).
„Bush betäubt sich heute durch Training, Schlaf und Gebet“ - zwanghafte Aktivitäten (Frank 2004, S. 254). „Der eiserne Frühaufsteher Bush liest allmorgendlich in einem evangelikalen Gebetbuch, bevor er sich als erste Amtshandlung die Bedrohungsanalyse der Geheimdienste vorlegen lässt“ (Wirth 2003, S. 79; kursiv T.A.). „Bush findet Trost in einem alles durchdringenden Sicherheitsgefühl, nachdem er Widersprüche, Zweifel und sogar ernsthafte Gedanken verbannt hat “ (Frank 2004, S. 76). „Seine Religiosität erlaubte es ihm, in einer Welt des Absoluten zu leben, einer Welt, in der es nur schwarz oder weiß gab, keine verstörenden Zwischentöne“ (Kelly 2004, S. 616). „Religion ersetzt nicht einfach den Zweifel durch Sicherheit; sie ersetzt Ambivalenz durch Dualismus“ (Frank 2004, S. 92). „Indem er sich selbst auf die Seite des Guten stellt - von Gott - ist er über jede Diskussion und weltanschauliche Anfechtung erhaben“ (Frank 2004, S. 76). „Ich glaube, George W. Bushs Ideologie ist die Ideologie des Selbst“, meint Ronald Reagan junior 2004 (Kelly 2004, S. 603).
Dem Journalisten Bob Woodward erklärt Bush: „Ich bin der Befehlshaber, verstehen Sie? Ich brauche nicht zu erklären, warum ich etwas sage... ich aber schulde niemand eine Erklärung“ (zit. n. Johnson 2003, S. 399). Das geht so weit, dass er sich über das Gesetz stellt. (Frank 2004, 119). Raphael Moses (1986) hat diese Mentalität als Watergate-Syndrom bezeichnet. Richard Nixon ist Bushs Vorbild darin.
1972 geht George (26 Jahre alt) bei einem seiner Alkoholexzesse mit seinem 16 Jahre alten Bruder Marvin um die Weihnachtszeit auf Sauftour und fährt dann unter Mitnahme einiger Mülltonnen volltrunken nach Hause (Kelly 2004, S. 327). 1976 geht er (30 Jahre alt) mit seiner 17 Jahre alten, minderjährigen Schwester Dorothy einen heben und wird am 4. September 1976 verhaftet, als er volltrunken mit ihr nach Hause fahren will (Kelly 2004, S. 370; S. 614). Neben der Verantwortungslosigkeit, die sich darin manifestiert, könnte man sich darüber hinaus fragen, ob sich in diesem Verhalten nicht auch unbewusste mörderische Impulse gegenüber seinen jüngeren Geschwistern durchsetzen?
1973 nimmt Bush ein Studium an der Harvard Business School auf (Kelly 2004, S. 328). Er fällt dort dadurch auf, dass er sich überhaupt nicht sprachlich ausdrücken kann, und nach Ansicht seines Professors Yoshi Tsurumi voller Vorurteile ist, er zeigte „keinerlei Sinn für Mitgefühl, keinerlei Geschichtsbewusstsein, keine soziale Verantwortung und keinerlei Interesse am Wohlergehen seiner Mitmenschen“ (Kelly 2004, S. 330). George gehört zu den schlechtesten 10% der Studenten (Kelly 2004, S. 330).
Im Juli 1977 bewirbt sich der 31-jährige George Walker Bush um einen Sitz im Kongress der USA. „Seiner Cousine Elsie Walker Kilbourne zufolge hoffte er, mit einem Wahlsieg die Aufmerksamkeit und Bewunderung seines Vaters zu gewinnen, die er so dringend brauchte“ (Kelly 2004, S. 375). Zwei Wochen später lernt George W. Bush Laura Welch kennen, gewinnt ihre Zuneigung und heiratet sie drei Monate danach im November 1977 (Kelly 2004, S. 376). Die politische Wahl dagegen verliert er.
Nachdem alle Versuche, seinen Vater zu erreichen (Kelly 2004, S. 276, S. 327, S. 375, S. 426), gescheitert sind, geistig (Kelly 2004, S. 276), sportlich (Kelly 2004, S. 276) oder beruflich im Ölgeschäft (Kelly 2004, S. 446), versucht es George W. Bush 1989 mit einer Investition beim Baseballteam der Texas Rangers. Unter den 86 Millionen von insgesamt 70 Investoren sind auch 500 000 geborgte Dollars von Bush (Corn 2004, S. 188). Dank der Bekanntheit seines Vaters und entsprechender Beziehungen beschließt der Stadtrat von Arlington den Bau eines neuen Stadions für die Rangers. Das 190 Millionen Dollar teure Projekt wird überwiegend aus Steuermitteln realisiert und dafür werden nicht verkaufswillige Grundstücksbesitzer enteignet (Kelly 2004, S. 567). Als die Texas Rangers neun Jahre später, 1998, weiterverkauft werden, macht Bush einen Reibach von 15 Millionen Dollar (Corn 2004, S. 188; Kelly 2004, S. 567). Es ist das erste und einzige erfolgreiche Geschäft seines Lebens - auf Kosten des Steuerzahlers und von Enteignungen anderer!
1992 verliert sein Vater George H. Bush seinen Präsidentschaftswahlkampf gegen Bill Clinton.
Zwischen 1994 und 2000 ist George W. Bush Gouverneur von Texas. Im Jahr 2000 wird er zum Präsidenten der USA gewählt. Nun erhält er endlich die lange ersehnte Anerkennung seines Vaters. Und er übertrumpft ihn 2003 durch den zweiten Irakkrieg, in dem er Bagdad einnimmt und Saddam Hussein gefangen nimmt. „Hobbypsychiater nannten den Irakkrieg ein ‘Ödipuswrack’“ (Kelly 2004, S. 665) (5).
„Im Jahre 1998 erhofft sich die Familie ihre Rehabilitierung durch die Präsidentschaftskandidatur von George W... Barbara Bush bezeichnet ihren Sohn mittlerweile als ‚den Auserwählten’“ (Kelly 2004, S. 598), „The Chosen One“ (Kelly 2004, S. 600).
„Wiederholt verglich sich der Präsident implizit mit Jesus Christus, insbesondere in der Rede am 20. September 2001, in der er sagte, wer uns nicht unterstütze, der sei gegen uns, eine eindeutige Anspielung auf eine Stelle im Matthäus-Evangelium: ‘Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich.’ (Matthäus 12, 30)“ (Johnson 2003, S. 392).
Aufgrund der vielfältigen Trennungs- und Verlusterfahrungen seiner Kindheit neigt Bush unbewußt eher zum Festhalten und Bewahren. Dies begründet wohl seine deutliche Affinität zum religiösen und politischen Konservatismus (Laurent 2003).
Auch sein Festhalten oder Eintreten für das von Ronald Reagan begonnene Rüstungs-Sicherheitsprojekt mit der phantastischen Idee, ein raketengestütztes Schutzschild über Amerika zu errichten, ist eindeutig unbewußt angstgesteuert.
„Vor dem 11. September 2001 galt Bush als ein schwacher Präsident. Seine demokratische Legitimation stand auf tönernen Füßen, war er doch eher gezählt als gewählt worden... Man konnte täglich in amerikanischen Zeitungen Witze über seine Unfähigkeit zur freien Rede, seine Tollpatschigkeit, seine mangelnde Weltläufigkeit lesen“ (Wirth 2003, S. 77). „Redete er aus dem Stegreif, klang er einfältig. Schrieben ihm gewandtere Untergebene seine Reden, hatte der Mühe, den Worten sein Benehmen anzupassen“ (Mailer 2003, S. 49). Wenn Sie ihn bei öffentlichen Auftritten betrachten, ist das bis heute nicht wesentlich verändert, immer wieder stimmen Gesichtsausdruck und Redeinhalt nicht überein. Nach seiner Wahl 2000 war Bush zunächst ein Freizeitpräsident, der sich wesentlich häufiger auf seiner Farm in Crawford (Texas) aufhielt als im Weißen Haus und sich dort bei den diversesten Freizeitaktivitäten ablichten ließ (6).
„Dies alles hat sich nach dem 11. September drastisch geändert. Der 11. September hat seiner bis dahin glanzlosen Präsidentschaft einen höheren Sinn verliehen“ (Wirth 2003, S. 77). George W. Bush ist ein ebenso materiell verwöhnter, wie emotional vernachlässigter Junge, der lange ziellos dahinlebt, bis er (am 11. September 2001) von einer Sendung ergriffen wird, sich plötzlich nutzvoll, sinnerfüllt und bedeutungsvoll erleben kann, kein Nichtsnutz mehr ist.
5. Gesellschaftlicher Hintergrund
Der französische Politikwissenschaftler Emmanuel Todd (2003, S. 10) führt den „hektischen Aktionismus“ der amerikanischen Regierung und „ihr Beharren darauf, unbedingt ‘Stärke’ zu demonstrieren“ auf einen ständigen wachsenden ökonomischen und politischen Machtverlust und daraus resultierende Unsicherheiten und Ängste (Todd 2003, S. 28) zurück (vgl. Laurent 2003, S. 191).
Am 11. September 2001 (Auchter u.a. 2003) geschieht das Nochniedagewesene: Zum ersten Mal in der Geschichte wird Amerika im eigenen Land durch einen äußeren Feind attackiert. Dies stellt eine massive narzisstische Verletzung und Infragestellung der megalomanen Phantasie der Unverwundbarkeit dar (7) . Außerdem werden dadurch alte narzisstische Kränkungen wie die Niederlage in Vietnam wiederbelebt. Die Regierung reagiert darauf unter anderem mit der Wiederauflage des Programms eines Raketenschutzschildes über den USA, der die phantasierte Unverletzlichkeit (All-Macht!) wiederherstellen soll.
Chronische narzisstische Wut entfaltet ihre Wirkung, „wenn das grandiose Gruppen-Selbst durch eine Verletzung des Nationalstolzes, etwa in Folge einer militärischen Niederlage, eine Demütigung erfährt“ , schreibt Jürgen Wirth (2002, S. 47) - Vietnam! 11. September!
Auch Laurent (2003, S. 28) betrachtet die „Machtergreifung der Ultrakonservativen“ in den USA als Ende eines „langen Marsches“, der in der militärischen und politischen Niederlage in Vietnam anfangs der Siebzigerjahre seinen Ausgangspunkt nimmt.
Der ZEIT-Journalist Kleine-Brockhoff (2004b) konstatiert eine seit Jahren stattfindende „Verschiebung des Machtzentrums vom Nordosten in den Süden und Westen... Die Amerikaner sind traditionalistischer, gläubiger, moralistischer und patriotischer geworden. Die Rechte übernimmt langsam die kulturelle Hegemonie“. Kleine-Brockhoff (2004b) spricht trefflich vom „Sicherheitskonservativismus“.
Beängstigend ist die Verfilzung zwischen finanzkräftigem Großkapital, dem militärisch-industriellen Komplex (Laurent 2003, S. 159, S. 161; Mailer 2003, S. 112), christlichem Fundamentalismus und politischem Ultrakonservativismus, die Eric Laurent (2003) detailliert aufdeckt. Darauf hatte schon Michael Moore in seinem Film Fahrenheit 9/11 hingewiesen.
6. Konsequenzen
In meinen Ausführungen habe ich herauszuarbeiten versucht, wie die Ängste von George W. Bush, beziehungsweise sein Umgang damit, schließlich zu den Ängsten vor George W. Bush führen. Der von Kindheit an emotional versehrte und traumatisierte Mann, wehrt seine Ängste und Verunsicherungen ab vor allem durch Spaltung und Projektion. Der Mechanismus der Verkehrung ins Gegenteil zeigt sich unter anderem in der Trauerabwehr nach dem Tod seiner kleinen Schwester, als er durch Clownerien seine Mutter und die Familie aufzuheitern versucht. Er ist bemüht, seine innere Ängste und Unsicherheiten durch martialische und megalomane Phantasien, sein rigides Beharren, seinen Konservativismus und zwanghaft ritualisiertes Verhalten ins Gegenteil zu verkehren.
Problematisch wird es, wenn er solche Mechanismen und Phantasien, als Präsident der militärisch mächtigsten Nation der Welt, in konkretes realpolitisches Handeln, wie zum Beispiel die Entfesselung eines Krieges, umwandelt. Und wenn er dafür Claqueure in den Medien und Widerhall in den Massen findet.
Obgleich Bush höchstwahrscheinlich über 300 000 Stimmen weniger erhielt als sein demokratischer Gegner Al Gore, wurde er von rund der Hälfte der wählenden Amerikaner im November 2000 zu ihrem Führer erkoren (Laurent 2003, S. 9). Und 2004 wurde seine Präsidentschaft nun allerdings mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen bestätigt.
Warum wählt jemand, so jemand? Das bleibt die psychodynamisch vordringliche Frage. Warum haben die Hälfte der Amerikaner, die an der Wahl teilnahmen, diesen George W. Bush wiedergewählt? Kann die Psychoanalyse hierfür irgendwelche Verständnis- und Erklärungsmuster anbieten?
Wirth (2002, S. 351) meint, dass „diejenigen, die einen Narzissten in eine Führungsposition wählen, in der Regel von seiner Grandiosität unbewusst fasziniert sind“. Ähnlich argumentiert Kurt Eissler schon 1975 (zit. n. Wirth 2002, S. 350): Er spricht von der „narzisstischen Selbstvergötterung“, in der die „meisten Menschen – meist unbewusst – starke narzisstische Wünsche... durch Identifizierung mit einer Person dieses Typs befriedigen“. Es besteht also ein Bedürfnis der Massen an seinen kompensatorischen narzisstischen Größenvorstellungen durch Identifikation zu partizipieren. „Amerikas Armenhäuser wählen konservativ. Im Jahr 2000 gewann George Bush 13 der 14 ärmsten Bundesstaaten, sein demokratischer Kontrahent die fünf reichsten Staaten“ (Kleine-Brockhoff 2004a).
„Sein Verhalten und seine Politik verursachen überall Furcht, in der Hoffnung, dass er als der idealisierte Held akzeptiert und durch seine verzeihlichen linguistischen Fauxpas vermenschlicht wird“ (Frank 2004, S. 200), „dass er sich ausschließlich als Beschützer darstellen will, der uns vor unserer zukünftigen Zerstörung retten kann“ (Frank 2004, 201). Nach dem Terror-September 2001 hat Bush „einer verwundeten Nation zwei Jahre lang Selbstgewissheit und Sicherheit gegeben“ (Kleine-Brockhoff 2004b). Nach Auffassung von Kleine-Brockhoff (2004b) wollen sich seine Wähler ihr Bild vom „Beschützer-Präsidenten“ nicht zerstören lassen. Deshalb wählen sie konservativ.
„Bushs übergroße Zurschaustellungen von Omnipotenz... sprechen“, nach Frank (2004, S. 207; kursiv T.A.), „unser Verlangen nach einer allmächtigen Vaterfigur an... Insgeheim stehen wir im Einverständnis mit seinem Anflug von Omnipotenz, denn die Vorstellungeines absoluten Schutzes durch ihn ist sicherer als unsere reale Erfahrung von Verletzlichkeit“.
Auch wenn die Welt George Walker Bush einigermaßen heil überstehen sollte, bleibt der Bush-Clan eine Bedrohung für die Welt. Der Bruder von George W. Bush, Jeb Bush erklärte in einer Pressekonferenz 1998, er sei mit dem Wunsch aufgewachsen, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden (Kelly 2004, S. 599; vgl. S. 586).
Literatur:
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Fußnoten:
1 Überarbeitete Version eines Vortrages vor der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Köln-Düsseldorf.
2 Wenn hier und im folgenden aus sprachökonomischen Gründen die männliche Form benutzt wird, sind immer die Frauen gedanklich mit einbezogen.
3 „Und so entsteht dann ein irrationaler Moralismus, der – unbewusst – das Übel fixiert, das er bannen möchte“ (Richter 1979, S. 143).
4 Diese Ankündigung wiederholt Bush im November 2006 als sich die Unmöglichkeit eines Sieges auf Erden, im Irak, immer deutlicher abzeichnet!
5 Zur ödipalen Thematik in der Psychodynamik von Bush, die hier nicht weiter erörtert werden kann, vgl. Frank (2004, S. 173ff.).
6 Nach Medienangaben im August 2005 verbringt GWB ca. 20% seiner Amtszeit auf seiner Ranch und stellt damit einen präsidialen Negativrekord auf.
7 Über Zusammenhänge zwischen narzisstischer Verletzung und Aggression vgl. Auchter (1987, 2003, 2004, 2006).
Autorenbeschreibung:
Thomas Auchter, Jahrgang 1948, Diplompsychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker (DPV, IPA, DGPT), Gruppenanalytiker (AG im DAGG), niedergelassen in freier Praxis in Aachen, Dozent und Lehrtherapeut der Psychoanalytischen Arbeitsgemeinschaft Köln-Düsseldorf (DPV), Mitveranstalter und Mitherausgeber der Reihe „Theologie und Psychologie im Dialog“. Zahlreiche Publikationen unter anderem zur angewandten Psychoanalyse, zum Werk von Donald W. Winnicott, zu Fragen von Gewalt und Aggression.
Anschrift:
Dipl. Psych. Thomas Auchter
Lütticher Straße 281
D – 52074 Aachen
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Über diesen Vortrag:
Saskia Zimmer
Unbewältigte Kindheitstraumata? US-Präsident George W. Bush
Bush, der „Angstbeißer“
Verdrängte Ängste münden in aggressives Verhalten: So lässt sich der „klassische Angstbeißer“ erklären. Ein Beispiel dafür ist nach Ansicht des Aachener Psychologen Thomas Auchter US-Präsident George W. Bush. Traumatische Kindheitserlebnisse schlagen sich demnach in seinem machtpolitischen Handeln nieder. So sei auch der Irak-Krieg eine Folge verdrängter Ängste eines in seiner Kindheit tief traumatisierten Jungen, sagte Auchter zum Auftakt der Aachener Friedenstage.
In seinem Vortrag gab Auchter tiefe Einblicke in Bushs Biografie. Aufgewachsen mit einer gefühlskalten depressiven Mutter und einem stets abwesenden Vater sei Bush bei der Verarbeitung seiner Gefühle – selbst beim Tod seiner Schwester, die mit fünf Jahren an Leukämie starb – allein gelassen worden. Die Mutter habe sich lange Zeit ausschließlich um das sterbende Kind gekümmert und der damals sechsjährige George monatelang bei Nachbarn leben müssen. Seine Ängste und Gefühle immer unterdrückend, bleibe Bush bis heute den kindlichen Mechanismen, „der Einteilung in Gut und Böse und der Zuteilung des Bösen auf Andere“ verhaftet, meint Auchter. Auch sein zwischenzeitliches Alkoholproblem, seine strenge Religiosität und sein oftmals possenhaftes Verhalten liegen aus der Sicht des Psychologen in der Verdrängung seiner Ängste und Erfahrungen begründet.
Bush selbst würde sich ein solches „Psychogelaber“, wie er Versuche, seinen Charakter zu erfassen, einmal nannte, verbitten. „Da Bush aber nicht nur einen kleinen Waffenladen, sondern das größte Waffenlager der Welt besitzt“, ist es laut Auchter lohnenswert und wichtig, sich genauer mit der Persönlichkeit des mächtigsten Mannes der Welt auseinanderzusetzen. Denn es werde gefährlich, „wenn individuelle Verdrängungsmechanismen in konkretes politisches und militärisches Handeln umgesetzt werden“.
So führe Bushs Bedürfnis nach uneingeschränkter Sicherheit aus Angst vor möglicher Bedrohung – wie im Kampf gegen „die Achse des Bösen“ – zu einer gesteigerten Furcht vor Vergeltung. Diese wiederum mündet in ein verstärktes militärisches Engagement der USA. Bush sei gefangen im „Teufelskreis der Gewalt“.
Auch auf die Frage, warum denn ein solcher Mann zum Präsidenten gewählt wurde, kann Auchter eine Antwort geben: Bush befriedigte das Bedürfnis der Massen nach einer allmächtigen Vaterfigur. Der „Angstbeißer“ wurde so zum
„Beschützer-Präsidenten“.