Bunker Scheibenstraße
Gerd Lebjedzinski malt die Stadtgeschichte Aachens mit SchülerInnen der Schule Aretzstraße
Aachener Zeitung, 21. Juni 2001
Pennäler von der Aretzstraße und Mies-van-der-Rohe-Schüler bei „Lernstatt“ bestens im Bild
von Marc Neugröschel
Wie eine Bildergeschichte erzählen die Gemälde, die seit kurzem die Außenwände des Bunkers zwischen Aretzstraße und Scheibenstraße zieren, Aachener Stadthistorie. Die Künstler, die den Betonklotz im Ostviertel auf derart anspruchsvolle Art zu einem Freiluft-Exponat mit Seltenheitswert umgestalteten, sind Schüler der Hauptschule Aretzstraße. Seit drei Jahren arbeiten sie unter Anleitung des Künstlers Gerd Lebjedzinski an der Aufwertung des unansehnlichen und funktionslosen Baus, in dem demnächst ein Friedensmuseum Platz finden soll. Doch das Ganze ist mehr als nur ein Künstlerworkshop. Hinter der Verschönerung des Bunkers steht ein aufwendiges pädagogisches Konzept, an dem die gesamte Schulgemeinschaft von der Aretzstraße beteiligt ist und das der Idee vom projektorientierten Lernen in vorbildlicher Weise entspricht. Denn bevor die Motive gemalt werden, werden entsprechende Kapitel der Stadtgeschichte im Unterricht aufgearbeitet. Dabei lernen die Schüler viel über jene Zeiten, die von Diktatur und Krieg geprägt waren. Diese Form der Demokratieerziehung hielten die Initiatoren der Lernstatt Demokratie für preiswürdig. Und so ist auch die Hauptschule Aretzstraße, neben vielen anderen aus dem gesamten Bundesgebiet, mit einem Stand auf der Ausstellung im Rhein-Maas-Gymnasium präsent. In Eigenregie stellen die älteren Schüler Arbeitsmaterialien für ihre jüngeren Mitschüler her. Die Pennäler übernehmen also Verantwortung füreinander, erklärt Lehrerin Ayla Aktas. "Dadurch, dass ich den Fünftklässlern beim Lernen helfen kann, fühl' ich mich erwachsener", bestätigt Achtklässlerin Daniele Wienands, die schon manches Arbeitsplatz entworfen hat. Beim Lernen geholfen haben die Berufsschüler der Aachener Mies-van-der-Rohe Schule nicht direkt. Dafür haben sie mit Engagement und guten Ideen einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lernbedingungen von Auszubildenden aus der rumänischen Stadt Caransebes beigetragen. Als die Berufsschüler gemeinsam mit Azubis aus der ostdeutschen Stadt Zeitz im Rahmen eines Schüleraustausches zum ersten Mal die rumänische Stadt Caransebes besuchten, stellten sie fest, dass ein duales Ausbildungssystem dort nur auf dem Papier existiert. Während es in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist, dass jeder Lehrling von Beginn an Erfahrungen in seinem Ausbildungsbetrieb sammeln kann, war den rumänischen Jugendlichen diese Form der praktischen Qualifikation fremd. Die Azubis aus Caransebes hatten zu dieser Zeit noch keinen Betrieb von innen gesehen und wurden ausschließlich in der Berufsschule auf ihre spätere Tätigkeit vorbereitet. Das war im April 1999. Von der schlechten Ausstattung der rumänischen Berufsschule und den ärmlichen Bedingungen, unter denen die Menschen in Caransebes leben, beschlossen die Berufsschüler aus Deutschland zu handeln. Und so wurde aus einem Austauschprojekt zur kulturellen Annäherung eine Initiative politischen Handelns, die ihresgleichen sucht. Die Berufsschüler erarbeiteten einen Plan, um die Betriebe in die Berufsausbildung einzubinden. Das Konzept stieß beim Bürgermeister und Kommunalpolitikern auf großes Interesse. Bei einem zweiten Besuch der deutschen Berufsschüler im vergangenen Jahr wurden dann Nägel mit Köpfen gemacht. 60 Ausbildungsverträge zwischen Jugendlichen aus Caransebes und dort ansässigen Betrieben konnten abgeschlossen werden. Nachdem sich die rumänischen Lehrlinge zwischenzeitlich auch in Aachen umgesehen haben, fliegen die deutschen Berufsschüler im September nach Rumänien, um ihre internationalen Freundschaften zu pflegen - auch die sind ein wichtiges Ergebnis der Austauschmaßnahme.
Daniele Wienands und ihre Lehrerin Ayla Aktas (rechts) präsentieren
das Bunkerprojekt der Hauptschule Aretzstraße bei der Lernstatt Demokratie.
Politische Kompetenz und kritische Kreativität: "Bunker"-Projekt
Leitung: Dr. Jürgen Jansen
Die universitäre Ausbildung bleibt häufig auf theoretische Reflexionen beschränkt, praktische Handlungskompetenzen werden kaum vermittelt. Das Bunker-Projekt am Institut für Politische Wissenschaft (Laufzeit: Wintersemester 1999/2000 bis Sommersemester 2001) versucht, den Graben zwischen Theorie und Praxis zu überbrücken. Dies geschieht dadurch, dass sowohl Varianten und Motive zivilgesellschaftlichen Engagements mittels sozialwissenschaftlicher Analysen beleuchtet werden, als auch beabsichtigt ist, die gewonnenen Erkenntnisse direkt auf die konkrete Arbeit am Bunker anzuwenden und durch die praktischen Erfahrungen aller Betroffenen vor Ort zu erweitern.
Was ist das Bunker-Projekt? Arbeitsmittelpunkt des Projektes ist ein großer Bunker, der im Zweiten Weltkrieg zum Schutz der Bevölkerung im Ostteil Aachens erbaut wurde. Der Bunker liegt an der Hein-Janssen-Straße, Ecke Scheibenstraße, nahe der Ganztagshauptschule Aretzstrasse. Das Vorhaben "Wandmalerei" an der Außenfläche des Bunkers ist der erste Teil eines größeren Projektes, das der Künstler Gerd Lebjedzinski mit seinen Schülern der Hauptschule Aretzstraße begann und zu dem er das Institut 1999 zur Mitarbeit einlud. Seitdem haben Studierende des Seminars "Politische Kompetenz und kritische Kreativität" dabei mitgearbeitet, das Thema der politischen Wandmalerei allgemein und die Geschichte Aachens als einen politischen und zeitgeschichtlichen, künstlerischen wie sozialen Auftrag zu durchdenken und durchzusetzen. Die Beiträge der Studierenden beziehen sich in einem ersten Schritt im wesentlichen auf die Auswahl und Aufarbeitung aussagefähiger und verallgemeinerbarer Themen aus der Geschichte der Stadt, auf die Kommunikation mit ZeitzeugInnen und anderen betroffenen BürgerInnen sowie die Erstellung von Informationsmaterialien und pädagogischen Begleitunterlagen zum Projekt. In einem zweiten Schritt wird zusammen mit den Schülerinnen und Schülern der Schule Aretzstraße unter Anleitung von Gerd Lebjedzinski der Bunker bemalt, so dass Schulklassen, aber auch Touristen und andere Besucher der Stadt gleichsam auf einer großen Wand die Geschichte Aachens seit der Römerzeit in ihren politisch relevanten Momenten vorgestellt bekommen.
Der Innenraum des Bunkers könnte als Friedensmuseum dienen, so zumindest ist es angedacht.
Quelle: IPW Institut für politische Wissenschaft der RWTH Aachen, Archiv Forschungsprojekte
Fotos: Karl Heinz Otten