Dein REICH komme
Versuch über Wilhelm Reich
Vera Thomas-Ohst
Lange vermisste ihn niemand, denn irgendwie war er ja ein großer Spinner gewesen und weit entfernt davon in seinen Kreisen ernst genommen zu werden.
Nun aber, mehr als fünfzig Jahre nach seinem Tod, kriechen durch Orgon-Energien wieder Zeichen aus den Tiefen der Verdrängung, um uns Überlebende zu erinnern an Wilhelm Reich, den Revolutionär der Psychoanalyse. In Dobzau, damals zur k.u.k. Monarchie gehörend wurde er 1897 als Sohn assimilierter Juden geboren.
Wer ihn in seinen Kreisen verstand, ernst nahm und mit ihm arbeitete, stolperte aus Opportunismus, Vorteilsdenken oder Angst rasch wieder zurück in die „anständige“ Internationale Psychoanalytische Vereinigung. Geprägt von seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiteten dort die Fachärzte und Schüler*innen um Dr. Sigmund Freud an der wissenschaftlichen Erkenntnis, die Triebkräfte des Menschen seien sublimierbar, sie seien durch Psychotherapie und Psychoanalyse zu erfreulicher und erbaulicher Kulturleistung zu transformieren und damit zur Anpassung an gesellschaftliche Entwicklungen.
Dies zum Wohle des Individuums und der Gesellschaft!
So wurde mit guter Intention schleichend, geheim und manipulativ Unheil in die Seelen der leidenden Menschen infiltriert. Einhergehend mit den im zwanzigsten Jahrhundert bekannten psychischen wie physischen Krankheitsbildern, die sich bis heute hin pestartig ausbreiten und eine Zivilisationskrise enormen Ausmaßes einleiteten.
Von kultivierten Zombies wird diese Pest als körperliches Symptom in unterschiedlichster Ausformung erlitten. Oft unzureichend behandelt, manchmal radikal „ausgemerzt" von „moderner“ Medizin, in Kooperation mit der Pharma-Industrie. Für sie ist leben und funktionieren identisch! Um wirtschaftliche und andere Krisen zu meistern, brauchen die Mächtigen und die Herrschenden Kranke, Abhängige und Hörige, die die Wirklichkeit nicht „wirklich“ erkennen.
Wo kämen wir denn auch hin, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft gesund und heiter wären? Wilhelm Reich ging hin, um zu schauen, wohin wir kämen …
Er stellte die Frage: WAS IST DAS LEBEN?
Als Ergebnis der inneren Stürme eines Naturforschers und Arztes, der jahrzehntelang zunächst mit naivem Staunen und schließlich mit Entsetzen erlebte, was der kleine „Mensch“ aus dem Volke sich selbst antut, wie er leidet, rebelliert, seine Feinde verehrt und seine Freunde mordet. „Wie er, wo immer er als „Volksvertreter“ Macht in seine Hände bekommt, sie missbraucht und grausamer gestaltet als die Macht, die er seitens einzelner Sadisten der oberen Klassen zu erleiden hatte.“ (Zitat Reich).
Nach Auseinandersetzungen mit der kommunistischen Partei einerseits und mit der Freud-Schule auf der anderen Seite wurde er 1934 aus der Kommunistischen Partei (KP) und aus der Internationalen Psychologischen Vereinigung (I.P.V.) ausgeschlossen. In seiner Schrift „Die Massenpsychologie des Faschismus“ hatte er 1933 der stalinistischen Doktrin widersprochen, wonach das Proletariat gegen die NS-Propaganda immun sei und der baldige Aufstand in Berlin beginnen würde.
1939 emigrierte er in die USA.
Während seines Medizinstudiums hatte er in Wien Sigmund Freud kennengelernt. Reich hatte das Studium mit dreiundzwanzig Jahren noch nicht abgeschlossen, da wird er 1920 schon Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV).
Der Titel seines Antrittsvortrags ist Programm: Libido-Konflikte und Wahngebilde in Ibsens „Peer Gynt“.
„Peer Gynt streift mit uns gemeinsam durch die Welt, auf der Suche nach der einzigen Macht, die die Welt im Inneren zusammenhält, der Liebe.“
Reich verfasste in Wien Beiträge zu Charakter- und Widerstandsanalyse, die heute als Klassiker der psychoanalytischen Literatur gelten. Doch er beschränkte sich nicht auf Worte, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf die Grammatik des Körpers, die jeder Sprache vorausgeht. So wird er zum Pionier der modernen Körperpsychotherapie. Er versteht die Menschen, denen die Worte fehlen, wenn sie ihre Gefühle ausdrücken wollen als Pantomimen, die das uralte Drama von Liebe und Hass gestisch in Szene setzen.
Reich will die Muskelpanzer sprengen, in der sich die Libido wie in einen Bunker zurückgezogen hat, er will die orgastische Potenz des Menschen zur Entfaltung bringen, als das individuelle Glück im allgemeinen Unglück. Es geht ihm um die emotionale Erfahrung des Verlusts des Ich, des gesamten geistigen Selbst. So erklärt Reich sein Körper-Seele-Befreiungsprogramm später (Kurt R. Eissler).
Reich sah in der Triebunterdrückung die Ursache für den Fortbestand einer zutiefst repressiven Gesellschaft, die frei geborene Menschen zu autoritätsgläubigen Untertanen mache. Ganz im Gegenteil zu Freud, der im Triebverzicht die Voraussetzung jeder Kultur sah.
Reichs Forschungen mit dem Orgon-Akkumulator wurden allerdings mehr und mehr als abstrus bezeichnet.
Eine von der Mehrheit falsch verstandene Renaissance in den 1968er Jahren unterbrach das Vergessen kurzzeitig. Ohne den Reich'schen theoretischen Überbau verstanden zu haben, zählte in dieser Zeit die so genannte „Sexuelle Revolution“ zu den Errungenschaften der „neuen“ psychologischen Forschungen. Beliebigkeit war das Schlagwort, erlaubt war, was gefiel. Reich wurde subtil zur Karikatur degradiert, „das individuelle Glück im allgemeinen Unglück“ wurde konsumiert, und im wahrsten Sinne gefressen. Doch Glück, das gefressen werden soll, rennt davon und hinterlässt Unglück. Manchmal dazu auch noch Kinder. Und was diese erben von ihren Eltern sind sie gezwungen zu wiederholen; bis zur bitteren Neige oder bis zur Erlösung in die Eigenverantwortung …
Zitat Wilhelm Reich: „Ihr ahnt nicht, dass es eure schmutzige Phantasie und eure sexuelle Verantwortungslosigkeit sind, die Euch in die Ketten der Ehegesetze legen.“
Einer seiner Veröffentlichungen setzte er folgenden Satz voran:
„Ihr falschen Biederlinge, die ihr mein lacht! Wovon lebt Eure Politik, seit ihr die Welt regiert? Vom Abstechen und Gemorde …“
Dieser „seelischen Pest“ setzte er seine Orgon-Lebens- und Liebesenergie entgegen.
Noch nicht ahnend, dass US-amerikanische Regierungsbehörden, die die Gesundhit ihrer Bürger zu schützen hätten in Gemeinschaft mit Geheimdiensten, Staatsanwälten, mit Politikern, KP-Funktionären und psychoanalytischen Geschäftemachern die Orgon-Forschung und ihn persönlich bespitzeln und angreifen würden.
Der Versuch seitens der Gegner, im Jahr 1947 die Orgon Forschung zu vernichten (wohlgemerkt: nicht als unrichtig zu erweisen, sondern durch Ehrabschneidung zu vernichten), wurde zum Anlass seiner Überlegung über die Notwendigkeit, dass der „Mensch aus dem Volke“ erfahre, wie ein Wissenschaftler und Psychiater tagtäglich arbeite, und wie er, der „kleine Mensch“ seinem erfahrenen Blick erscheint.
Seine Gegner vor Gericht und in den Geheimdiensten nannte er alsdann öffentlich die „seelische Pest“.
„Der Mensch muss lernen, die Wirklichkeit zu erkennen, die allein seiner verderblichen Autoritätssucht entgegenwirken kann; wir müssen ihm klar sagen, welche Verantwortung er trägt, ob er nun arbeitet, liebt, hasst oder schwätzt. Er muss erfahren, wie er zum schwarzen oder roten Faschisten wird. Wer für das Lebendige und für den Schutz unserer Kinder kämpft muss gegen den schwarzen wie gegen den roten Faschisten sein.“ (Reich)
Er wusste, dass jeglicher Faschismus lebendige und gesund geborene Kinder zu Krüppeln, Marionetten und moralischen Idioten macht, weil dem Faschisten Staat vor Recht, Lüge vor Wahrheit, Krieg vor Leben geht, obwohl das Kind, und der Schutz des Lebendigen im Kinde, die einzige Hoffnung bilden die uns übrig bleibt.
Das Lebendige ist in seinen sozialen und menschlichen Beziehungen gütig, naiv und daher unter den bestehenden Verhältnissen gefährdet. Es schließt von sich auf andere. Es nimmt an, dass auch der Mitmensch nach den Gesetzen des Lebendigen lebend, gütig und hilfreich denkt und handelt. Diese natürliche Grundhaltung, die dem gesunden Kind wie dem einfachen Menschen eigen ist, wird zur größten Gefahr im Kampf um rationale Lebensgestaltung, solange es die „seelische Pest“ gibt.
Denn auch der „Pestkranke“ schreibt seinem Mitmenschen die Eigenart seines Denken und Handelns zu. Er glaubt, dass alle Menschen lügen, schwindeln, betrügen und machtbesessen sind. Es ist offenkundig, dass sich aus diesen Gründen das Lebendige im Nachteil und in Gefahr befindet. Wo es den „Pestkranken“ gibt, wird es ausgesaugt und nachher verlacht und verraten, und wo es vertraut, wird es betrogen.
Es ist also höchste Zeit, dass das Lebendige hart werde, wo Härte im Kampf um seine Sicherung und Entwicklung nötig ist, es wird seine Güte dabei nicht verlieren, wenn es sich mutig an die Wahrheit hält.
Ein Stück hoffnungsvoller Wahrheit ist die Tatsache, dass es unter Millionen arbeitsamer anständiger Menschen immer nur einige wenige „Pestträger“ gibt, die mörderisches Unheil stiften, indem sie an die dunklen und gefährlichen Antriebe der Struktur des gepanzerten Durchschnittsmenschen anknüpfen und sie organisiert zu politischem Mord führen.
Das Lebendige beansprucht nicht Macht, sondern Geltung im menschlichen Leben. Es ruht auf drei Pfeilern: Liebe, Arbeit und Wissen.
Reich kennen und reich werden heißt:
Wissen um die Lebendigkeit, Kämpfen gegen die „seelische Pest“, die Angst davor überwinden, seelische Panzerung in sich selbst zu entdecken und sich auf die wahren menschlichen Bedürfnisse zu besinnen, um endlich mit der grausamen Selbstzerfleischung aufhören zu können. Liebesenergie muss als „Sand in das Getriebe“ der gesellschaftlichen Maschinerie fließen, damit die Maschine angehalten, untersucht und für nicht mehr zeitgemäß erklärt werden kann. Sie ist Schrott!
Wilhelm Reich lebt und sein Reich kommt, es ist das Reich der Liebe und der Lebendigkeit; die einzige Möglichkeit, Gewalt und Kriege zu verhindern und mit der Prävention zu beginnen: Beim Bau der Persönlichkeit unserer Kinder, die unsere einzige Chance sind, als Menschen zu überleben. Gepanzerte Krieger mit Reptilien-Hirn, aggressiv, gefräßig und dumm, können uns und die Welt nicht retten. Achtsam, empathisch, fürsorglich und liebevoll wird die Zukunft sein, oder sie wird nicht sein!
Vielleicht nicht morgen, nicht im nächsten Jahr, aber in hundert, tausend oder fünftausend Jahren werden sich die Orgon-Energien durchsetzen. Weil nur die Liebe das Leben möglich macht.
Ich zitiere Reich, aus einer Rede an den kleinen Menschen:
„Was immer nun du mir angetan hast oder antun wirst, ob du mich als Genie verklärst oder als Wahnsinnigen einsperrst, ob du mich nun als Retter anbetest oder als Spion hängst oder räderst, früher oder später wirst du aus Not begreifen, dass ich die Gesetze des Lebendigen entdeckte und dir das Handwerkszeug gab, dein Leben mit Willen und Ziel zu lenken, wie du bisher nur Maschinen lenken konntest. Ich war dir ein guter Ingenieur deines Organismus, deine Kindeskinder werden meinen Spuren folgen und gute Ingenieure der menschlichen Natur sein. Ich habe dir das unendlich weite Reich des Lebendigen in dir, deines kosmischen Wesens eröffnet. Dies ist mein großer Lohn. Den Diktatoren und Tyrannen aber, den Schlauen und den Giftigen, den Mistkäfern und Hyänen rufe ich die Worte eines alten Weisen zu:
Ich pflanzte das Panier der heiligen Worte
In diese Welt.
Wenn längst der Palmenbaum verdorrte,
der Fels zerfällt,
wenn längst die strahlenden Monarchen
wie faules Laub im Staub verwehn:
Tragen durch jede Sündflut tausend Archen
Mein Wort: Es wird bestehn!“
Wilhelm Reich starb 1957 in einem amerikanischen Gefängnis an Herzversagen. Niemand obduzierte ihn und bestätigte diese Diagnose.
Er war und ist immer noch gefährlich für die Mächtigen, die ihre Untertanen nicht verlieren wollen.
Filmtipp: Der Fall Wilhelm Reich, 2012 Österreich, Regisseur Antonin Swobada, Klaus Maria Brandauer spielt – nein – lebt Wilhelm Reich.
Veronika Thomas-Ohst
Aachen, 4. Februar 2014