Gaza und die Hoffnungsvögel
FrauenWegeNahost im September 2013
Vor drei Monaten, Anfang Juni 2013, erhielten FrauenWegeNahost die Zusage, dass die Stadt Bonn unseren Plan für eine „Informationsveranstaltung in Bonn und Reisekosten für Sprechtherapeuten aus Gaza/Palästina“ finanziell unterstützen würde. Für uns eine höchst erfreuliche Premiere: zum ersten Mal würden wir über Geld verfügen, das wir nicht von unseren treuen Spendern erhalten oder durch eigene Benefizveranstaltungen verdient hatten.
Wir legten sofort los: Einladung zur Reise nach Bonn und Köln für Mahmood Ismail, den Sprechtherapeuten. Seit mehr als drei Jahren betreut er in unserem Gaza-Projekt HOFFNUNGSVÖGEL Kinder, die auf Grund von traumatischen Erlebnissen in ihrer sprachlichen Entwicklung gestört sind. Mahmood beantragte ein Visum bei der Gaza-Außenstelle der deutschen diploma-tischen Vertretung in Ramallah, in Bonn gaben wir die dazu erforderliche Verpflichtungserklärung ab. Wenig später wurde das Visum erteilt (gültig vom 1. bis 26. September 2013), und Mahmood konnte mit den Reisevorbereitungen beginnen. Er war gerade 28 Jahre alt geworden und sollte zum ersten Mal die Möglichkeit haben, aus dem von den Israelis hermetisch abgeriegelten Gaza-Streifen herauszukommen. Das einzige Schlupfloch, der von Ägyptern und Israelis gemeinsam kontrollierte Grenzübergang Rafah im Süden des Gebiets, war offen. Von dort würde Mahmood nach Kairo gelangen und einen möglichst preiswerten Flug nach Deutschland nehmen.
In Bonn wurde der Termin für die geplante Veranstaltung festgelegt, Freitag, der 12. September. Wir reservierten den Saal und planten das Programm mit Einführungsvortrag, Interview, Projektvorstellung, Film und Ausstellung. Um unserem Sprechtherapeuten Kontakt und fachlichen Austausch zu ermöglichen, sprachen wir mit hiesigen Einrichtungen und Fachleuten für Sprechtherapie. Wir erhielten überall Unterstützung – von Seiten der Stadt Bonn ebenso wie von hilfsbereiten Einzelpersonen.
Womit wir nicht gerechnet hatten, waren die Ereignisse in Ägypten, der Militärputsch. Seitdem ist der Grenzübergang Rafah zu einem Mauseloch geschrumpft, durch das nur noch Schwerkranke mit entsprechender ärztlicher Bescheinigung passieren dürfen – wenige Hundert täglich von den 1,8 Millionen, die dort im größten Freiluftgefängnis der Welt eingepfercht sind. Aus unseren Medien übrigens ist darüber so gut wie nichts zu erfahren.
Wir haben die Gaza-Veranstaltung und alle anderen HOFFNUNGSVÖGEL-Termine abgesagt. Das Amt für Internationales beim Bonner Oberbürgermeister hat uns zugesagt, dass uns das Fördergeld bis Ende des Jahres erhalten bleibt. Mahmood in Gaza wird weiter von Tag zu Tag auf eine Möglichkeit zur Ausreise warten. Wird sein Visum verlängert, oder muss er ein neues beantragen? Sobald wir entsprechende Nachricht von ihm bekommen, setzen wir unsere Pläne in die Tat um. Aber eine Woche Vorlauf werden wir wohl brauchen … InteressentInnen, Freunde und Unterstützer der HOFFNUNGSVÖGEL werden wir so bald wie möglich informieren.
Eine weitere Angelegenheit hat uns bei FrauenWegeNahost in diesen Sommermonaten beschäftigt. Mitte Juni erschien unsere Broschüre „Palästinensische Kinder und Jugendliche in den Fängen der israelische Militärjustiz“. Sie bringt die ins Deutsche übersetzten Ergebnisse einer Studie, die vor anderthalb Jahren mit Unterstützung der EU von einer internationalen Menschenrechtsorganisation in Palästina veröffentlicht wurde. Leser erfahren erschreckende Einzelheiten über die Schicksale palästinensischer Kinder (ab 12 Jahre), die in die Fänge der israelischen Militärjustiz geraten: nächtliche Verhaftungen und Abtransport mit verbundenen Augen und gefesselten Händen, Quälereien beim Verhör, fallweise Einzelhaft und schließlich Gerichtsverfahren, die den Namen nicht verdienen. Und bei all dem sind die Minderjährigen allein. Eltern haben nur äußerst beschränkten Zugang zu ihren Kindern hinter Gittern, und ebenso ergeht es Anwälten, die den Jugendlichen im Verfahren vor den Militärgerichten beistehen wollen.
Wir sind der Ansicht, dass diese Tatsachen hierzulande viel zu wenig bekannt sind. Berichte zum Thema verschwinden in administrativen Schubladen. Derweil gehen die gravierenden Verstöße der israelischen Besatzungsmacht gegen Völkerrecht und Menschenrechte weiter. Tag für Tag.
Die fünfhundert Exemplare unserer Broschüre, die wir im Juni drucken ließen, waren innerhalb von zwei Monaten verteilt und verkauft. Eine zweite, leicht erweiterte Auflage wird Mitte September vorliegen. Bestellungen nehmen wir ab sofort gern entgegen: Sabine Werner, FrauenWegeNahost, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Während ich dies schreibe, hängt die Gefahr eines Krieges um Syrien und gegen seine leidgeprüften Menschen als dunkle Wolke über der gesamten Region. Der Verlauf der gegenwärtigen sogenannten Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern gibt wenig Anlass zu Optimismus. Da kommen uns bei FrauenWegeNahost unsere Projekte und Vorhaben oft klein und manchmal vielleicht blauäugig vor. Aber so lange unsere PartnerInnen und Freunde in Palästina und Gaza die Hoffnung auf eine gerechte Zukunft für ihre Kinder nicht aufgeben, werden wir weiter für sie eintreten.
Übrigens: unser Sprechtherapeut Mahmood Ismail und seine Frau haben vor drei Tagen in Gaza ihr erstes Kind bekommen, eine Tochter. Sie heißt Sama.
Bonn, Köln, Königswinter, Bergheim. Kastellaun, Brühl, 6. September 2013
Suraya Hoffmann, Herrat Boström, Sabine Werner, Rose Kasabre, Michael Kellner,
Christa Wendling, Samy Soto, Ulrike Vestring